Wall of Sound
www.klassik.com 20-07-2008
Toni Hildebrandt
Details zu Franssens, Joep: Roaring Rotterdam
Cover vergrößern
Wall of Sound
Kritik von Toni Hildebrandt, 25.04.2008
Franssens, Joep: Roaring Rotterdam
Label: Etcetera , VÖ: 22.02.2008
Hörbeispiele:
Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:
Roaring Rotterdam, Harmony of the Spheres und Magnificat – die drei Kompositionen der neuen CD von Joep Franssens offenbaren sich schon in ihren Titeln. Farbenprächtige Klangmassen, der ‘Wall of Sound’, wie man ihn von Filmmusik aus Hollywood kennt und eine stark spirituelle Neigung charakterisieren die Musik Joep Franssens’. Die drei Arbeiten für Orchester und Chor unter der Leitung von Gerd Albrecht/Tõnu Kaljuste stellen jedoch einen durchaus tiefsinnigen, versierten Komponisten mit einem großen Talent für klangprächtige Instrumentierungen vor. Joep Franssens (*1955) gehört zu einer jungen Generation von Komponisten, die allgemein unter dem Schlagwort der ‘New Spirituality’ zusammengefasst werden. Inspiriert durch die Werke von Arvo Pärt, John Tavener, Peter Michael Hamel oder Giya Kancheli, sowie der amerikanischen ‘Minimal Music’ postulieren diese Komponisten neben einer neuen Einfachheit, zudem eine neue metaphysische, vornehmlich spirituelle, Musikästhetik. ‘Ich konnte die Musikgeschichte nie à la Adorno in einer einzigen geraden, zwingenden Entwicklungslinie sehen’ betonte Franssens unlängst in einem Interview. Sein musikalisches Denken ist ohne jeglichen pejorativen Unterton ‘postmodern’ – verabschiedet von den alten Geschichtsbildern, scheinen ihm wieder harmonische Tonalität, ungebrochene Schönheit und ein emphatischer Spiritualismus als geradezu zwingend nötig und auch ästhetisch möglich. Vorbilder sind ihm dabei neben seinen Zeitgenossen, wie John Adams, Philip Glass oder seinem Lehrer Louis Andriessen, vor allem Gustav Mahler und Johann Sebastian Bach. Franssens sieht dabei kurioserweise ausgerechnet Bach als heterogenen, ja geradezu ‘postmodernen’ Komponisten, indem er auf die deutschen, französischen und italienischen Wurzeln in seinen Werken verweist. Eine streitbare These, wenngleich Franssens gleich im Anschluss ganz ‘un-postmodern’ auf ‘Wurzeln’, ‘Traditionslinien’ und ‘das perfekte Ganze’ als Telos seiner Musik hindeutet. Die Skepsis gegenüber seiner Musikästhetik verfliegt allerdings schnell in den eigentlichen Werken, denn hier überzeugt Franssens. Am blassesten ist wohl noch das erste Stück Roaring Rotterdam, in dem er fragmentarisch große Werke der Musikgeschichte – Bach (Eröffnungschor der Johannes-Passion), Smetana (Wassermusik) und Wagner (Anfang vom Rheingold) – mit einem bombastischen, Pop-Sound à la Yes oder Phil Spector verbindet. Der wuchtige Choral am Ende des Stückes sollte allerdings zumindest im Konzertsaal ein eindrucksvolles Hörerlebnis ergeben.
Sphärenmusik mit Spinoza Harmony of the Spheres, part I ist der erste Teil eines fünfteiligen Zyklus über Textstücke aus der Ethica des Benedictus de Spinoza (1632-1677), jenem großen niederländischen Philosophen der frühen Neuzeit. Die kompositorische Struktur ist hier durchweg schlüssig und hält trotz der Länge des Stückes die Spannung. Entfernt erinnert der Umgang mit der ‘schwebenden Harmonik’ an den späten Ligeti oder einige Werke von Steve Reich. Und natürlich schwingt im Titel auch der pathetische Wunsch nach einer ‘Sphärenmusik’ mit, die seit den Schriften des Pythagoras bis zu Kepplers Harmonice Mundi immer wieder die Komponisten bis in unsere Zeit faszinierte. Auch Mike Oldfield hat sich in diesen Tagen in der naiven Hybris der Popstars den sphärischen Klängen gewidmet, allerdings ein weitaus weniger überzeugendes Werk als Franssens vorgelegt.
Magnificat mit Pessoa Highlight der Aufnahme ist sicher das großartige halbstündige Magnificat. Franssens schrieb es 1999 für das Festival Neuer Spiritueller Musik in Amsterdam, wo es auch uraufgeführt wurde. Im Gegensatz zu vergleichbaren Werken, wie dem Magnificat (1989) von Arvo Pärt nutzt Franssens nicht den traditionellen neutestamentarischen Text, sondern verwendet Dichtungen des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa, welche die Natur in ihrer spirituellen Schönheit – einer Art pantheistischen Hommage – verherrlichen. Hier findet man gleichsam intertextuell den Rückbezug auf Spinozas ‘deus sive natura’. Neben den großartigen raumkompositorischen Effekten und der fantastischen Instrumentation des Stückes, kommt einem Magnifikat vor allem die ostentative Wiederholungsstruktur zu gute, die wahrlich meditativ wirkt. Franssens Musik wird, wie bei seinem Vorbild Bach, zu einer ‘Sprache’, die uns unmittelbar verständlich ist und jene Neue Spiritualität entfalten kann, die man auch bei Arvo Pärt findet. Jenseits von Rationalität und Struktur ist Franssens Musik hier pure Klangentfaltung in all ihrer suggestiven und sinnlichen Kraft. Mit den Worten Pessoas: ‘Porque a luz do sol vale mais que os pensamentos de todos os pensamentos de todos os filósofos e de todos os poetas’ (Denn das Sonnenlicht ist weit mehr als die Gedanken all der Philosophen und all der Dichter).